Schulfach Zukunft

Wir produzieren viel Durchschnitt

„Wir produzieren viel Durchschnitt“

Hauke Schwiezer, Gründer des Netzwerks Startup Teens, fordert das Schulfach Zukunft, einen U-25-Vorstand in jedem deutschen Unternehmen und mehr Gehör für die junge Generation

Er möchte junge Menschen zu mehr Unternehmergeist und Durchsetzungsvermögen animieren. Deshalb hat Hauke Schwiezer (42) ein Netzwerk gegründet, das aus Schülern erfolgreiche Wirtschaftsdenker macht. Für Startup Teens kommen Gesellschafter wie Flixbus-Chef Daniel Krauss und Hagebau-Boss Philipp Möller zusammen, die Plattform wird auch populär unterstützt von Fußball-Weltmeister Philipp Lahm.

WELT: Viele Unternehmen leiden unter den Folgen der Corona-Krise. Sie hingegen sagen, in der Krise liege die Chance. Und die Antwort heißt Generation Z?

Hauke Schwiezer: Außer aus Druck oder Angst tun wir Deutschen uns ja leider traditionell schwer mit Neuem. Gerade die Resilienz oder schlicht die Fähigkeit, Krisen zu überwinden, und auch die Reagibilität, also ein sensibles Reaktionsvermögen, sind in der Krise ganz anders gefordert, als wenn es Corona nicht gäbe. Und daher setzen ganz viele Unternehmen auf einmal zwangsläufig auf die Digitalisierung und zeigen nun wesentlich stärker die Bereitschaft, junge Leute deutlich mehr einzubinden. Die Generation Z ist ja nun wirklich die erste Generation, die aus Digital Natives besteht und über Kompetenzen verfügt, die manche „Erwachsene“ nicht haben.

WELT: Ist die Generation Z nicht viel zu ichbezogen, um im Team voranzugehen?

HS: Das sehe ich anders. Die Ichbezogenheit ist bei der Generation Y viel ausgeprägter, während die Generation Z viel mehr im Team arbeiten will. Sie hat eher das Problem, dass niemand so richtig dem Team vorangehen möchte und die Verantwortung übernimmt. Das scheint aber mehr Klischee zu sein. Es würden nämlich schon einige ganz gern ihre Ideen umsetzen und Führungsrollen einnehmen. Das ist neu.

WELT: Sie haben unter den 16- bis-19-Jährigen, also der Generation Z, eine große Umfrage durchführen lassen. Was war das Erstaunlichste daran?

Wir waren sehr überrascht. Das Thema „Ich würde meine Idee selbst auch gerne umsetzen“ ist viel deutlicher ausgeprägt, als es das Klischee diesen jungen Leuten nachsagt. Vielleicht ist es erklärbar mit der Sinnhaftigkeit, nach der Gen Z strebt.

WELT: 20 Prozent möchten in einem fremden Unternehmen Chef werden. Wie stufen Sie das ein?

Als weit über meinen Erwartungen. Die Generation Y war der Meinung: Hier komme ich, was kostet die Welt! Gen Z sagte man ganz stark nach, sie würde Jobs lieber neben der Freizeit machen und gar nicht führen. In älteren Erhebungen kam man auf sieben Prozent, jetzt sind es 20. Bei der zweiten, dritten, vierten Führungsebene sind es sogar über 60 Prozent.

WELT: Sie bezeichnen diese Generation als Digital Natives, andere sagen: viel Smartphone, wenig Erfahrung im analogen Leben.

Ihre Ursprungsfrage war ja: Welche Chance bietet Corona? Und die liegt eben darin, die Stärken der Generation Z einzubeziehen. Dass sie auch Schwächen hat, das stellen wir ja gar nicht in Abrede. Unser Ansatz lautet: Dort, wo diese jungen Leute einen Vorsprung haben gegenüber 30- oder 35-Jährigen und Älteren, da müsste man sie eigentlich viel früher einbinden, als das in der Vergangenheit geschah.

WELT: Digital Native bedeutet nicht zwangsläufig digitaler Ideenreichtum.

Wenn ich sage, dass volkswirtschaftlich etwas schiefläuft, dann weil es an einer entscheidenden Sache hakt: an Entrepreneurship-Education, also der Bildung oder Ausbildung in Sachen Unternehmertum. Hier mangelt es sowohl an Schulen als auch an Maßnahmen, die parallel zur Schule laufen. In dieser Sparte belegt Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt einen wirklich lächerlich schlechten 36. Platz unter 54 untersuchten Nationen. Länder, die hoch gerankt sind, haben nach der Schule signifikant mehr Gründungen und sind nachhaltig erfolgreicher.

WELT: Was müsste sich ändern?

Wir stellen fest, dass wir in Deutschland in der Schule viel zu wenig das Thema Wirtschaft, Unternehmertum, Digitalisierung, also die Befähigung der jungen Menschen, ihre eigenen Ideen auch umzusetzen, unterrichten. Und genau das ist die Kernaussage der Generation Z in unserer Umfrage: Wir hätten eigentlich absolute Lust darauf, unsere eigenen Ideen umzusetzen, können es aber nicht, weil wir weder in der Schule noch durch parallele Angebote dazu befähigt wurden. Das ist einer der Gründe, warum wir Startup Teens gegründet haben, weil wir genau das beheben möchten.

WELT: Also möchten Sie das deutsche Schulsystem umkrempeln?

Eine Umfrage unter Studenten in einem Land, das keine nennenswerten Rohstoffe hat außer geistiges Kapital, hat ergeben, dass die meisten Beamte werden wollen. Und die Zahl steigt und steigt. Niemand kann mir weismachen, das sei eine gute Entwicklung. Das zielorientierte Arbeiten auf eine Lösung hin ist so bislang in der Generation Z zu wenig ausgeprägt. Aber die Erkenntnis ist ja: Sie möchten es. Wir müssen dafür die Lehrpläne von vor 30, 40 Jahren in den Schulen ändern. Kaum ein System ist so träge und damit so wenig an Gegenwart und Zukunftsverhältnisse angepasst wie das deutsche Schulsystem. Idealerweise gäbe es künftig ein Schulfach Zukunft. Darin müsste man sich beschäftigen mit Themen, die nicht nur junge Leute etwas angehen, sondern unser Land. Außerdem brauchen wir parallel zur Schule deutlich mehr Angebote, Talente individuell zu fördern. Ich habe bei „Anpfiff ins Leben“, dem Jugendförderkonzept des SAP-Begründers Dietmar Hopp, der mein großes Vorbild ist, gelernt. Meine wichtigste Erkenntnis lautet: Jedes Kind und jeder Jugendliche hat ein herausragendes Talent. Aber wir tun uns in Deutschland unheimlich schwer, sie zu identifizieren und zu fördern. Wir stärken lieber Schwächen als Stärken und produzieren damit flapsig ausgedrückt viel Durchschnitt.

WELT: Warum ist gerade jetzt die Chance auf einen Wandel so groß?

Weil wir müssen. Das Land gerät so stark unter Druck, dass es gefragt ist, wesentlich mehr neue Ideen umzusetzen. In den nächsten ein, zwei Jahren werden wir es schaffen müssen, das geistige Potenzial ganz unterschiedlicher Altersstufen zusammenzubringen und uns zu trauen, Dinge auszuprobieren. Sonst wird es düster aussehen. Andere Länder werden es sonst deutlich besser hinbekommen, das Ganze nach Corona wieder aufzurichten.

WELT: Wen sehen Sie als Vorreiter?

Die skandinavischen Länder, auch die Niederlande und die Schweiz machen das gut. Israel und Amerika sowieso. Auch Indien ist vorne dabei. Mir würden noch mehr Länder einfallen, und nur Deutschland ist da relativ weit weg, ehrlich gesagt.

WELT: Welche Firmen in Deutschland arbeiten schon jetzt nach Ihrem Geschmack?

Was Intrapreneurship betrifft, ist SAP mit Sicherheit der größte Vorreiter. Dort kann man, wenn man eine eigene Idee einbringt, an einer Tochtergesellschaft beteiligt werden. Wer das sicherlich auch sehr vorbildlich macht, ist die Firma Trumpf. Viele große Konzerne dagegen sehe ich da eher nicht, dort existiert eine sehr hierarchische Struktur, in der man nicht so stark neue eigene Wege gehen möchte.

WELT: Nur wenige Chefs bekommen eine offene Feedback- und Fehlerdiskussion hin.

Warum ist das so? Ganz klar, aus Besitzstandsgründen. Es sind Ängste, sich zu öffnen. Dabei sagen wir ja gar nicht, das Argument der Generation Z sei immer das bessere. Es ist nur oft so, dass es gar nicht gehört wird und dadurch in den Entscheidungsprozess nicht einfließen kann. Und das müssten wir ändern. Aber es bedingt einen Kulturwandel, wenn ein 24-Jähriger einem 53-Jährigen sagt: Dies und das hier läuft falsch, das sollten wir anders machen.

WELT: Was wünschen Sie sich konkret von den deutschen Firmen?

Ich halte es für erstrebenswert, in jedem deutschen Unternehmen einen unter 25-Jährigen im Vorstand zu haben. Der Wandel würde sich dann relativ schnell manifestieren. Ein herausragendes Talent gehört in jeden Vorstand, um dort nötige Perspektiven einzubringen. Es ist also enorm wichtig, Talentförderung zu betreiben. Dass ein junger Vorstand noch eine Menge zu lernen hat, ist klar. Dass er akzeptieren muss, dass er nicht alles besser weiß und auch stärker auf Ältere hört, ebenfalls. Aber zu meiner Forderung stehe ich absolut.

WELT: Was muss im Vergleich zu anderen Ländern konkret passieren?

Man muss bereit sein, Dinge zu ändern. Ich stelle fest, ich habe noch nie so schnelle Ergebnisse erarbeitet wie jetzt, seitdem ich nicht mehr durch ganz Deutschland reise. Seitdem es die Kultur ständiger Telefonate und Videokonferenzen gibt, muss ich mich selbstkritisch hinterfragen, ob das früher alles so nachhaltig und umweltschützend war, oder ob ich nicht auch mal nach Erfurt oder Freiburg gefahren bin, weil ich es da schön finde. Der andere Aspekt: Müssen wir nicht, um wieder auf die Beine zu kommen, die guten Ideen aller, also auch der Gen Z, ohne hierarchische Prozesse hören, weil wir es uns schlicht nicht leisten können, gute Ideen außer Acht zu lassen? Wenn wir in unseren Trott nach Corona zurückfallen, wird das ein ganz langer Weg für Deutschland und sicher kein guter. Daher die Forderungen nach dem Schulfach Zukunft und dem U-25-Vorstand.

WELT: Experten glauben, es wird vor allem die Gen Z sein wird, die die Zeche dieses wirtschaftlichen Desasters durch die Corona-Pandemie zu zahlen hat. Glauben Sie, dass sie damit umgehen kann?

Davon bin ich felsenfest überzeugt. Es ist ja auch immer die Frage, ob eine Generation sich ausbremsen lassen will. Vielleicht sind die Gehälter nun erst mal geringer, die Ängste und die Schulden größer. Doch die Gen Z hat weiter alle Möglichkeiten: hoch ausgebildet, Digital Natives und nach Nachhaltigkeit strebend. Daraus lassen sich wunderbare Geschäftsfelder der Zukunft machen.

WELT: Aus der Politik kommt während der Corona-Krise eher das Signal, dass es klarerer Hierarchien bedarf.

(lacht) Finde ich nicht. Im Gegenteil. Ich finde es eher schwach, dass wir in Deutschland keine Diskussions- und Debattenkultur haben. Von Mitte März bis Mitte April hatten wir so etwas wie einen Konsens. Seitdem kippt die gesellschaftliche Stimmung, und es wäre sehr gut, hätten wir mal wieder eine offene Kultur, um darüber zu diskutieren, ob alles, was wir tun, wirklich sinnvoll ist. Oder ob wir nicht gerade durch eine deutliche Steigerung des digitalen Bewusstseins, also der Einsicht, mit unseren Daten in Krisenzeiten etwas flexibler umzugehen, die Bevölkerung schützen könnten, ohne die Wirtschaft dabei kaputtgehen zu lassen. Nicht falsch verstehen: Ich plädiere keineswegs dafür, den Datenschutz auszuhebeln. Aber ich bin überzeugt, dass wir uns mit manch starrer Regel eher im Weg stehen, als Lösungen zu entwickeln. Schauen wir zu den beiden Demokratien, die bisher am besten durch die Krise kommen: Taiwan und Südkorea. Das Erfolgsrezept Testing und Tracking funktioniert nur mit einer ausgeprägten digitalen Kultur. Infizierte per Handy-App zu überwachen, setzt voraus: Man hat eine gute App, alle nutzen sie, geben wahrheitsgemäß Inhalte an und stellen den Datenschutz, der grundsätzlich eine hohe Berechtigung hat, im Falle einer Pandemie zurück. An der Gen Z würde Testing und Tracking in Deutschland sicher zuallerletzt scheitern.

Dieser Text von Stefan Frommann ist am 18.05.2020 auf WELT.DE veröffentlicht worden.
https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article208048649/Wir-produzieren-viel-Durchschnitt.html

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